Hl. Messe und Talkrunde "Missbrauch in der Kirche"

27. Mai 2010

Symbolfoto zum Artikel: Hl. Messe und Talkrunde "Missbrauch in der Kirche"

Um 17.00 Uhr begann das Gebetsprogramm in der Kirche. P. Ignaz Domej feierte die Hl. Messe mit der Gemeinde. Bei der Talkrunde sprach der Wiener Psychiater und Psychotherapeut Univ.-Doz. Dr.Dr. Raphael Bonelli (Sigmund Freud Universität) im Rahmen einer Talkrunde über das Thema „Missbrauch in der Kirche“.

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Es ist ein sehr ernstes, die Zeit beherrschendes Thema, doch Dr. Bonelli ermutigte die Anwesenden, diese Ernsthaftigkeit zur Analyse zu verwenden.

Wenn wir über Missbrauch reden würden, so würden wir primär an sexuellen Missbrauch denken – es gäbe aber auch geistlichen und emotionalen Missbrauch, und auch dieser fügte den Betroffenen Leid und Schaden zu.

All diese Missbrauchsformen gäbe es in unserer Gesellschaft und da die Kirche Teil der Gesellschaft ist, so sind sie auch in der Kirche anzutreffen – so bedauerlich, enttäuschend und auch abstoßend das ist.

Klargestellt wurde, dass es keinen Zusammenhang zwischen den zölibatären Lebensformen, wie sie von Priestern und Ordensleuten gelebt werden, und Missbrauchsformen, insbesonders der Pädophilie als eine der bekanntesten sexuellen Missbrauchsformen, gibt. Im Gegenteil – ein Blick auf Statistiken zeigt, dass die Übergriffsrate im Bereich von Menschen, die ihre Sexualität im Rahmen von Ehe und Partnerschaft ausleben, eklatant höher liegt als bei zölibatär lebenden.

Warum? Warum sollen gerade Menschen, die ihre Sexualität ohnedies in einer Partnerschaft ausleben können, den Drang verspüren, sich an Kindern zu vergehen? Hier wurden mehrere Gründe offen diskutiert. Viele der anhängigen Fälle liegen 40 und mehr Jahre zurück, führen uns also in den Bereich der 1968 eingeleiteten „sexuellen Revolution“. Es war die Zeit, wo man glaubte, „alles“ sei möglich, „alles“ sei erlaubt. Ein anderer Grund ist möglicherweise, dass wir in einer „übersexualisierten“ Welt leben, in einer Welt, wo man glaubt, Grenzen überschreiten zu müssen, um den „besonderen Kick“ zu verspüren, in einer Welt, wo das „Normale“ nicht mehr ausreicht, wo man die Grenzen immer weiter ausdehnt.

In diesem Zusammenhang wurde auch kritisch vermerkt, dass das Schutzalter für Jugendliche immer weiter gesenkt worden ist, was auch bedeutet, dass man heute bereits 14-jährigen volle sexuelle Reife „zumutet“.

So ist es auch erklärbar, dass sich Menschen, die sich aus dieser übersexualisierten Welt zurückgezogen haben und zölibatär leben, auch weniger diesen Anfechtungen ausgesetzt sehen. Trotzdem – es gibt sexuellen und anderen Missbrauch in der Kirche und bei ihren Repräsentanten, dem Klerus. In diesem Zusammenhang wurde vom Publikum sehr kritisch das Verhalten der Amtskirche im Umgang mit derartigen Fällen diskutiert. Es war von „mauern“, „keine Konsequenzen ziehen“, „vertuschen“ und „beschönigen“ die Rede. Es kam aber auch zur Sprache, dass es seit Jahren in den österreichischen Diözesen Beschwerdestellen gibt, die jeder Meldung nachgehen und diese Fälle umgehend der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Überprüfung übermitteln.

Freilich, auch diese Praxis bedurfte einer Entwicklung – heute aber ist sie Realität.

Insgesamt dauerte die Diskussionsrunde etwa 2 Stunden, und die Debatten verliefen teils hitzig, teils sachlich – in jedem Fall aber konnte vieles klargestellt werden. Herrn Dr. Bonelli gilt unser Dank für seine sachlichen Begriffsklärungen, Ausführungen und seine Geduld im Beantworten der zahlreichen fachlichen Fragen, P. Ignaz Domej für seine Diskussionsführung und P. Michele Pezzini für seine Einladung zu diesem an- und aufregenden Diskussionsabend.

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